Die Alte Oper Frankfurt gehört zu den prägenden Konzerthäusern Deutschlands und steht für Vielfalt im Programm sowie höchste Ansprüche an Klangqualität. Nach dem Vorbild des Großen Saals soll nun auch der mehr als 700 Personen fassende Mozart Saal eine ebenso exzellente Akustik erhalten. Dafür geht die Alte Oper neue Wege: Im Rahmen eines gemeinsam mit der Gemeinnützigen Hertie-Stiftung initiierten Forschungsprojekts wird eine KI-basierte Lösung zur automatisierten Überwachung und Steuerung der Raumakustik im Mozart Saal entwickelt. Mithilfe von Künstlicher Intelligenz werden raumakustische Parameter wie Gesamtenergie und Reflexionen in Echtzeit aus natürlichen Audiosignalen geschätzt und zur dynamischen Anpassung der elektronisch erzeugten Raumakustik genutzt. So bleibt der Raumklang unabhängig von Faktoren wie Publikumsbelegung, Möblierung oder Bühnenaufbau konstant und optimal.
Herausforderung: Variable Raumakustikanforderungen in Mehrzweck-Konzertsälen
In modernen Veranstaltungsräumen treffen unterschiedlichste Nutzungsformen aufeinander – von klassischer Musik über Sprachveranstaltungen bis hin zu Unterhaltungsshows. Entsprechend vielfältig sind die Anforderungen an die Raumakustik, die nicht nur für das Konzerterlebnis des Publikums relevant ist, sondern auch für die Musikerinnen und Musiker. Klassische Konzertproben finden oft ohne Publikum statt, was zu stark veränderten akustischen Bedingungen bei der Aufführung führt. Der Grund: Das anwesende Publikum absorbiert den Schall und verändert dadurch die Nachhallzeit und die Gesamtlautstärke des Raums. Für die Musikerinnen und Musiker entsteht ein »trockenerer« Klangraum, der das Spielgefühl deutlich beeinflussen kann. Um diesen Effekt auszugleichen, kommen sogenannte elektronische Raumakustik-Enhancement-Systeme zum Einsatz. Über im Raum verteilte Mikrofone und Lautsprecher erzeugen sie zusätzliche Reflexionen und erhöhen so die Schallenergie im Saal. Allerdings werden diese Systeme meist vor der Aufführung – etwa bei der Generalprobe – konfiguriert und während des Konzerts nicht mehr angepasst. Dadurch können sie die veränderten akustischen Bedingungen durch das Publikum nicht vollständig ausgleichen – und ihr volles Potenzial bleibt ungenutzt.
Forschungsansatz: KI-gestützte Echtzeitanalyse der Raumakustik
Das Projekt verfolgt einen dreistufigen methodischen Ansatz:
- Akustische Datensammlung und Modellierung realer Konzertsituationen
Es wird ein umfassender Datensatz erstellt, der verschiedene akustische Szenarien realer und simulierter Konzertsäle abbildet – inklusive Zustände mit und ohne Publikum. Zum Einsatz kommen unter anderem 3D-Audio-Spezialräume am Fraunhofer IDMT sowie reale Messreihen im Mozart-Saal der Alten Oper Frankfurt. - Entwicklung von KI-Algorithmen zur Raumakustikschätzung aus Audiosignalen
Mithilfe von Machine Learning und Deep-Learning-Techniken werden akustisch relevante Merkmale wie Nachhallzeit und Energieverteilung aus natürlichen, live aufgenommenen Audiosignalen extrahiert – ganz ohne spezielle Messsignale. Ziel ist ein robustes, ressourcenschonendes System, das akustische Parameter zuverlässig und in Echtzeit schätzt. - Integration in bestehende elektronische Raumakustiksysteme
Ein zentrales Anliegen des Projekts ist die Anbindung der entwickelten KI-gestützten Raumakustikanalyse an vorhandene elektroakustische Systeme. Ziel ist es, bestehende Systeme nicht zu ersetzen, sondern um eine intelligente, datenbasierte Steuerung zu erweitern. Über standardisierte Schnittstellen soll die Regelung direkt in die bestehende Infrastruktur eingebunden werden.
Einsatzbereiche und Zukunftspotenzial der KI-gestützten Raumakustikregelung
Die adaptive Optimierung der Raumakustik stellt eine technologische Innovation mit hohem Anwendungspotenzial dar – nicht nur für Konzert- und Veranstaltungshäuser. Weitere Anwendungsfelder sind beispielsweise die Filterung verhallter Audiosignale in Kommunikationsanwendungen wie der Mobiltelefonie oder Videokonferenzsystemen sowie die adaptive Audiowiedergabe in Fahrzeugen, um die wahrgenommene Größe der Fahrzeugkabine zu verändern.